
- Es ruckelt noch
Nach acht Wochen im Amt ist Friedrich Merz schon „Außenkanzler“, doch „Innenkanzler“ muss er noch werden. Die Debatte um die Senkung der Stromsteuer wird für ihn auch zur Machtfrage: Wer führt und prägt die neue Regierung innenpolitisch?
Der Koalitionsvertrag ist eindeutig. Dort steht in der Zeile 957: Die neue Regierung werde als „Sofortmaßnahme die Stromsteuer für alle auf das europäische Mindestmaß senken“. Besonders brisant sind die Begriffe „Sofortmaßnahme“ und „für alle“, denn die sind durch den von Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) vorgelegten Haushaltsentwurf nicht gedeckt. Gelten die Versprechen der neuen Regierung schon acht Wochen nach der Kanzlerwahl nicht mehr?
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte dem Ansinnen Klingbeils zugestimmt, dass bei der Stromsteuer zunächst nur die Unternehmen entlastet werden sollten, die Privathaushalte nicht. Immerhin steht alles unter dem Finanzierungsvorbehalt, und weitere Entlastungen seien eben nicht finanzierbar. Auch das Bundeskabinett hatte den Etatentwurf bereits gebilligt. Alles sollte schnell gehen, immerhin ist es der nachgeholte Plan für das laufende Jahr 2025. Ende des Monats soll schon der Entwurf für 2026 beraten werden.
Diszipliniertes Kabinett
Doch so glatt läuft es nun doch nicht. Die neue Bundesregierung hat einen ersten schweren Konflikt. Ein wirklicher offener Streit, wie er in der Ampel-Zeit oft vorkam, ist es bei Schwarz-Rot noch nicht geworden, dazu sind alle noch zu diszipliniert. Bislang hält noch der Vorsatz, es anders machen zu wollen als die Scholz-Regierung. Doch der am Mittwoch tagende Koalitionsausschuss, erst der zweite in der Merz-Zeit, hat ein Problem, das nicht leicht zu lösen ist.
Dabei ist die inhaltliche Frage nur die eine Seite der Auseinandersetzung, die andere ist die Machtfrage. Die Regierung ist noch keine 100 Tage im Amt – und tatsächlich zeigt sich in dem Stromsteuer-Debakel, dass die innenpolitische Führung noch nicht reibungslos funktioniert. Noch sind Rollen, Abläufe und Strategien nicht sauber geklärt. „Es muss sich zusammenruckeln”, das sagt sogar Merz selbst im Talk mit Sandra Maischberger. Und das wird nun besonders offenkundig dadurch, dass der Kanzler hat erkennen lassen, dass er nun bereit ist, noch mal über die Stromsteuer zu reden, obwohl der Beschluss doch eigentlich schon durch war. Er muss sich nachbessern, das kann passieren, schön ist es nicht.
Als Außenpolitiker ist Friedrich Merz bereits viel gelobt worden, selbst Skeptiker haben seine Performance in Washington, Den Haag und Brüssel zu würdigen gewusst. Besonders sein Umgang mit US-Präsident Donald Trump und die Immerhin-Erfolge in Sachen Nato-Zusammenhalt und Zoll-Verhandlungen hätten viele so nicht erwartet. Ein „Außenkanzler“ ist Merz schon, doch ein „Innenkanzler“ muss er noch werden.
Die Rolle von Jens Spahn
Der Unionsfraktionsvorsitzende Jens Spahn (CDU) war vorgeprescht. Er hatte via Social Media erklärt, es werde zu Entlastungen kommen. „Die Stromsteuer für alle und dauerhaft zu senken, ist das klare Ziel der Koalition.“ Nur wie und wann das genau gelinge, sei noch offen. Auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sekundierte, CSU-Chef Markus Söder rief aus München in Richtung Berlin mit gleichem Anliegen. Dabei hatte Spahn zum einen den Durchmarsch der Regierung gestoppt, getreu dem Grundsatz aller Fraktionsvorsitzenden, der Bundestag habe auch noch etwas mitzureden. Sogar ganz schön viel, wenn sich die Gelegenheit bietet. Zum anderen hatte er aber auch eine Möglichkeit gelassen, dass Merz gesichtswahrend die Richtung wechseln konnte.
Spahn steht derzeit unter Feuer, weil sein Wirken als Gesundheitsminister in der Corona-Zeit, vor allem was die Beschaffung von Masken angeht, erneut scharf kritisiert wird. Als Anlass dient ein von SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach in Auftrag gegebenes und keineswegs unparteiisches zunächst internes Gutachten, das nun öffentlich wurde. Die offenkundigen Mängel dieses Berichts stören vor allem Grüne nicht, sie gefallen sich darin, ihren alten Lieblingsgegner mit alten Lieblingsvorwürfen zu überziehen. Doch seiner Machtposition innerhalb des Unions-Gefüges scheint dies kaum zu schaden, fast im Gegenteil.
Es ist Spahn, der als einziger CDU-Mann Regierungserfahrung hat. Das hat Wirkung und zeigt sich auch in der aktuellen Stromsteuer-Debatte und im öffentlichen Umgang damit. Im Koalitionsausschuss sitzen von der Kanzlerpartei neben Merz und Spahn noch Linnemann und Thorsten Frei. Ausgerechnet der Kanzleramtsminister fehlt heute Abend und wird vertreten. Auf den Fraktionsvorsitzenden wird es also entscheidend ankommen, wenn die Regierung jetzt funktionieren soll.
Das Entlastungssignal
Die inhaltliche Frage ist möglicherweise unspektakulärer, als es derzeit diskutiert wird. Es geht um rund 5,4 Milliarden Euro, die nötig sind, um die angedachte Entlastung für die Bürger zu finanzieren. Das sollte angesichts eines Volumens von 503 Milliarden Euro organisierbar sein, vor allem bei den vielen neuen Schlupflöchern und Hintertürchen durch die Sondervermögen. Welche Entlastung wiederum die besten Wirkungen hat, ist unter Ökonomen umstritten. Die Regierung wird die Gasspeicherumlage künftig nicht mehr den Bürgern aufbürden, das senkt durchaus die Kosten für den Verbraucher. Dass etwa die Entlastung der Gastronomen oder die von Söder durchgesetzt Mütterrente aber weniger sinnvoll sind als eben die Senkung der Stromsteuer, scheint vielen gewiss. Doch an diesen Punkten wird auch ein Koalitionsausschuss, der die Nacht zum Tage machen würde, kaum etwas verändern können. Immerhin sitzen neben CDU und SPD auch drei CSU-Vertreter mit am Tisch.
So kommen durch den jetzt entfachten Konflikt um die Stromsteuer ganz andere und viel größter Themen auf die Agenda. Wie sieht es mit der Reform des Bürgergeldes aus? Welche Einsparpotentiale gibt es im Sozialetat? Für den Kanzler bedeutet das, er muss nun zeigen, wie er den Konflikt eindämmt und zugleich mit einem Ergebnis herauskommt, das nicht zu klein und zu formelhaft aussieht – zu sehr nach Ampel schmeckt.
Mehr noch aber muss Friedrich Merz aus dem Vorgang lernen, wie es künftig nicht laufen darf. Zu spät wurde dem Kanzleramt klar, dass der Kabinettsbeschluss möglicherweise voreilig war, der Verzicht auf die Entlastung sich zu einem Ärgernis aufwachsen könnte und das große Ziel, dass die Regierung schon nach 100 Tagen den Bürgern spürbare Verbesserungen würde präsentieren können, wie ein Luftballon zerplatzen könnte.
Der Druck aus den Ländern
Spahn und Linnemann haben den Unmut in der Partei früh erspäht. In dieser Woche gab es für dieses Grollen beim Treffen aller Unions-Fraktionsvorsitzenden aus den Landesparlamenten in Bad Dürkheim auch eine Bühne. Die Senkung für alle müsse schnell kommen, waren sich die Landespolitiker einig. Eine klare Botschaft für Merz.
Sebastian Lechner sagte Cicero: „CDU und SPD haben gemeinsam versprochen, die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung an die Menschen zurückzugeben – und genau dazu stehen wir.“ Der CDU-Landeschef in Niedersachsen und Fraktionsvorsitzende im Hannoverschen Landtag sieht auch noch den größeren, klimapolitischen Zusammenhang. Niedrigere Strompreise seien nicht nur eine finanzielle Entlastung, vielmehr würden sie auch den Umstieg auf klimafreundliche Technologien wie Wärmepumpen erleichtern. Es mache „klimafreundliches Verhalten einfacher und günstiger“, so Lechner, der in Niedersachsen in der Opposition ist. Er schlägt deshalb vor, die Stromsteuersenkung aus dem „Klima- und Transformationsfonds“ zu finanzieren.
Für Mathias Middelberg (CDU) ist es zu wenig, die Stromsteuer isoliert zu betrachten. Vielmehr müsse der Haushalt dadurch konsolidiert werden, dass die Sozialausgaben durch wirtschaftliche Belebung und mehr Beschäftigung sinken, sagt der Unionsfraktionsvize vor dem Koalitionsausschuss. „Vor allem, wenn wir mehr Bürgergeldempfänger in Arbeit vermitteln würden, ließe sich viel sparen.“
Er spricht von erheblichem Einsparpotenzial beim Bürgergeld. Für Merz sind derartige Interventionen nicht harmlos, denn er muss seinen sozialdemokratischen Koalitionspartner bei Laune halten. Sozialministerin Bärbel Bas hatte schon mal vorsorglich vor Einschnitten im Sozialstaat gewarnt. Allerdings scheint die SPD nach ihrem Parteitag gelassener in die Regierungsberatungen zu gehen, als es zuvor der Fall war.
Einer Reform des Bürgergeldsystems ist verabredet und beschlossen. Nach einem Plan von Bas könnte sie in zwei Stufen umgesetzt werden und dadurch vielleicht früher als gedacht zu Einsparungen führen. „Viele arbeitslos gemeldete Bürgergeldempfänger sind gerade erst in den letzten Jahren zugewandert. Sie sind jung, leistungsfähig und wären bei gezielter Förderung durchaus vermittelbar", so Middelberg. Auch wenn die SPD-Seite dies nicht so formuliert, scheint die Erkenntnis auch dort zu wachsen, dass sich beim Verfahren der Vermittlung in Arbeit etwas ändern muss.
Tatsächlich steht die Regierung noch ganz am Anfang. Dieser erste Haushalt ist nur der Probelauf für viel schwierigere Fragen, die noch vor der Merz-Mannschaft liegen. Noch vor der Sommerpause im August muss der Entwurf für den Haushalt 2026 vorliegen und beraten werden. Dort wird gerade auf Seiten der CDU die Erwartung sein, dass hier die Handschrift der neuen Regierung wirklich sichtbar wird.
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.... uns wieder eine X für U vormachen. Lese gerade aktuell in der BUILD zum Thema Bürgergeld, dass sie uns da auch schon wieder vera..... Die finden schon einen Weg, nach außen uns die Steuern zu senken und an anderer Stelle gerade wieder zu erhöhen. Wir kennen das doch schon ewig und drei Tage. Da wird getäuscht, umgeschichtet, versteckt, geblendet oder sonst wie dem Bürger vorgegaukelt, er würde entlastet werden und dann wird er an anderer Stelle wieder zur Kasse gebeten. Und nein, Merz ist und war nie mein Kanzler und er wird auch kein Innenkanzler werden, solange er dieser SPD in den A.... kriecht und sich ständig mit denen herumärgern muss, weil die doch machen was sie wollen. Aber das er diesen Preis zahlen muss war jedem klar, der diese Koalition hat kommen sehen. Und warum soll sich eine SPD an ihr Wort halten, der Kanzler tut es ja auch nicht. Zwei Monate und genau was ist wirklich einschneidend umgesetzt mit wirklich merkbarem Erfolg? Nichts. Große Worte und keine Taten.
Es passt eben nicht zusammen was nicht zusammen gehört.
Die SPD sorgt stets für Unfrieden, da sie ohne Brandmauer niemals in Regierungsverantwortung gekommen wäre.
Dieses Narrenbiotop mutiert letzten Endes zur Kleinstpartei, da die Wähler bei den kommenden Landtagswahlen so etwas garantiert nicht mehr tolerieren.
Deshalb auf dem SPD Parteitag auch die Forderung nach einem AfD Verbot.
Sie wissen nämlich genau, die Regierenden, ihr Sondervermögen, egal wie viel auch, löst sich durch falsche Politik genauso in Luft auf, wie das Sondervermögen zuvor.
Anstatt klug zu agieren und zu wirtschaften, vergeuden sie ihre Zeit mit akribischem Erbsenzählen.
So ist das eben wenn man beim Grillen den Hund auf die Wurst aufpassen lässt und selbst zu den Nachbarn zum feiern geht.
Eine "schwäbische Hausfrau" ist der Herr Klingbeil bestimmt nicht und wer letztlich die Hosen in der SPD an hat, sieht man in den Qualitätsmedien jeden Tag.
Ihr Parteitag sprach Bände, von Aufarbeitung keine Spur.
politisch ?
Entschuldigung Herr Resing , was für eine Frage, noch dazu von einem SPD Mitglied ?
Wer bitte außer der SPD, soll denn diese Schulden- Koalition dominieren wenn man beim etwa hälftigem Ergebnis gegenüber der Union die Ressorts Finanzen, Verteidigung, Justiz,
Arbeit & Sziales, Umwelt & Klimaschutz, Bau. „Verhandelt“ hat ? Als Vetobevollmächtigter Finanzminister, und die Ministerien: Arbeit & Soziales, Verteidigung , Klimaschutz und Bau die absoluten Schwergewichte beim Bundeshaushalt in SPD- Hand sind, dürfte sich doch die Frage nach der innenpolitischen Führung dieser Koalition erübrigen. Beispielgebend, die Querschüsse der Linken in der SPD gegenüber den Innenministerium und das Kappen der versprochenen Energieentlastung für alle durch Klingbeil.
Wer in dieser Koalition innenpolitisch führt ist klar, die SPD !
Die Schulden werden verplämpert, keiner weiß wohin und am Ende bleibt‘s so wie es war, der
Abschwung geht weiter, mit Riesenschritten.
MfG a d Erfurter Republik
Wenn es in der Koalition schon bei dieser Art von Kleinkram knirscht, darf man wohl auf wirkliche Änderungen in der völlig desaströsen Energiepolitik vergeblich warten, von der Migrationspolitik ganz zu schweigen. Die so genannte Brandmauer wird dieser CDU noch gewaltig auf die Füße fallen.
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