Friedrich Merz und Angela Merkel / picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Merz zum Kanzler gewählt - Mutti wäre stolz!

Die Kanzlerschaft von Friedrich Merz ist schon jetzt mit einem Makel behaftet, der Olaf Scholz in unerwartetem Glanz erscheinen lässt. Erzielt er absehbar keine Erfolge, könnte die Verweildauer seiner Amtszeit die seines Vorgängers noch toppen.

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Wolfgang Kubicki ist stellvertretender FDP-Bundesvorsitzender und war Bundestagsvizepräsident. (Foto: dpa)

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Es ist wohl keine Bosheit, wenn man prognostiziert, dass die Kanzlerschaft von Olaf Scholz als eher gescheitert Eingang in die Geschichtsbücher finden wird – zumindest nicht als besonders erfolgreich. Aber eines muss man dem frischgebackenen Altkanzler lassen: Wenn er in eine Abstimmung gegangen ist, um die Kanzlermehrheit zu erreichen, hat er sie auch bekommen. Nur einmal hat er sie verfehlt, aber das war geplant: beim Scheitern der Vertrauensfrage.

Die Kanzlerschaft von Friedrich Merz ist also schon jetzt mit einem Makel behaftet, der Olaf Scholz in unerwartetem Glanz erscheinen lässt. Deswegen ist Merz noch lange kein gescheiterter Kanzler – er hat ja gerade erst angefangen. Aber bei aller berechtigten Freude, die man als Staatsbürger darüber haben muss, dass wir jetzt wieder eine voll handlungsfähige Regierung haben, genügt ein Blick auf das internationale Presseecho, um die historische Dimension des Debakels zu begreifen.

Der britische Telegraph konstatiert, dass Merz „blamiert“ sei. Die New York Times sieht einen „ernüchternden Rückschlag“, und CNN spricht von einer „peinlichen Abstimmung“. Starker Tobak, aber der historischen Blamage durchaus angemessen. Die Folgen für unser Land hat die italienische Zeitung Corriere della Sera wohl am besten zusammengefasst: „… ein Tag des Chaos, der Deutschland fassungslos und die europäischen Verbündeten verwirrt und besorgt zurücklässt.“ 

Blick ins Zwielicht

Das ist ein fataler Start für den neuen Bundeskanzler, der als Oppositionsführer keine Gelegenheit ausließ, die „Chaos-Ampel“ zu kritisieren. An der Ampel gab es sicher einiges zu bemäkeln, aber immerhin ging der Streit bei ihr stets um die Inhalte: Heizungsgesetz, Corona, Finanz- und Wirtschaftspolitik. Da muss man bei Merz schon etwas mehr ins Zwielicht blicken, um zu erahnen, woher der Eklat am Dienstag überhaupt gekommen ist.

Erklärungsansätze gibt es jedoch genug. Da ist zum einen der Wahlkampf-Merz, der noch mit haushaltspolitischer Solidität warb und der vom Macht-Merz schon vor den eigentlichen Koalitionsverhandlungen in einer atemberaubenden Eile kaltgestellt wurde, sodass einem schwindelig wurde. Denn die Grundgesetzänderung, die das faktische Ende der Schuldenbremse eingeleitet hat, wurde noch mit den alten Bundestagsmehrheiten umgesetzt, obwohl schon ein neuer Bundestag gewählt war. 

Darauf muss man erst mal kommen. Nur sehr wohlwollende Zeitgenossen können das anerkennend „Chuzpe“ nennen. Viele Bürger, aber wahrscheinlich auch manch ein Abgeordneter der Unionsfraktion, nennen so etwas schlicht eine kaltschnäuzige Unverschämtheit. Nicht ausgeschlossen, dass einige der 18 Abweichler aus den eigenen Reihen kamen.

Mit Stimmen der AfD

Und dann ist da natürlich Lars Klingbeil. Auch von ihm gibt es zwei Ausgaben. Der Wahlkampf-Klingbeil hat seinen Genossinnen und Genossen noch eingebläut, dass die Merz-CDU das personifizierte Böse wäre. Schließlich hatte Friedrich Merz das „Tor zur Hölle“ aufgestoßen, wie Rolf Mützenich in den Plenarsaal donnerte. „Sie glauben doch nicht, dass wir nach dem heutigen Tag mit Ihnen zusammenarbeiten werden!“, hatte Klingbeil Friedrich Merz im Plenum entgegengerufen, als der Fünf-Punkte-Plan der CDU/CSU zur Migrationswende auch mit Stimmen der AfD beschlossen wurde. 

Es schloss sich ein sozialdemokratischer Wahlkampf an, bei dem man meinen konnte, Friedrich Merz selbst sei eine Gefahr für die Demokratie in unserem Land. Das war nicht nur eine extrem schmutzige Kampagne der SPD, es war auch eine extrem erfolglose. Aber der Macht-Klingbeil konnte über all das sehr schnell großzügig hinweggehen. Denn als Finanzminister und Vizekanzler ist er nicht nur eine der mächtigsten Personen in dieser Republik, sondern auch eine der unangefochtensten, nachdem er die SPD-Co-Vorsitzende Esken nonchalant kaltgestellt hat. Auch hier sieht man einiges an Verrenkung und eine mutmaßliche Ursache für die historische Kanzlerwahl.

Lieblingsfeind der Sozialdemokraten

Wir können jedenfalls festhalten, dass dieses Resultat nicht vom Himmel gefallen ist, sondern von den Koalitionären hausgemacht war. Die Blamage von Berlin fällt allein in die Verantwortlichkeit von Union und SPD. Letztere hat sich ja in den vergangenen Jahren angewöhnt, die FDP für alles, was schiefging, als Schuldige zu benennen. Immerhin wird dieser Kelch an meiner Partei vorerst vorübergehen. Allerdings gebe ich zu, dass ich es lieber sehen würde, die FDP würde bei künftigen Kanzlerwahlen wieder eine aktive Rolle spielen.

Spannend wird jedoch zu beobachten sein, wer von dem mit gutem Medieninstinkt ausgestatteten Klingbeil als neuer Universalschuldiger auserkoren wird: Merz, die CSU oder vielleicht Carsten Linnemann? Dieser hat sich immerhin so viel wirtschaftlichen Verstand bewahrt, dass er lieber nicht in das Kabinett eingerückt ist. Linnemann wäre damit geradezu prädestiniert als neuer Lieblingsfeind der Sozialdemokraten.

Jedenfalls zeigt sich, dass die Fliehkräfte in der neuen Koalition schon jetzt enorm sind. Und das ist ein Problem. Denn die Welt lechzt nach einem Deutschland, das wieder das verkörpert, was es einst war: ein Stabilitätsanker in Europa und ein verlässlicher Partner in der Welt.

Im Geiste Adenauers

Immerhin außenpolitisch ist Friedrich Merz die Premiere geglückt. Die Bilder aus Paris mit dem französischen Präsidenten waren von einer Vertrautheit und Herzlichkeit geprägt, die wir in den zurückliegenden Jahren so schmerzlich vermisst haben. Und auch sein zweiter Besuch, jener in Warschau, ist ein wichtiges Zeichen an unsere östlichen Partner, das wohltuend ist. 

Innenpolitisch dürfte die zupackende Art von Alexander Dobrindt dafür sorgen, dass wenigstens manche Unions-Wähler sich in der neuen Regierung wiederfinden, auch wenn das die Sozialdemokraten an ihre Leistungsgrenzen bringen wird. All das gilt es anzuerkennen. Man kann aber nur hoffen, dass das Chaos um die „Notlage“ und die Anwendung bzw. Nichtanwendung des Artikel 72 AEUV ein kommunikatives und kein rechtliches Problem darstellen wird. Ersteres ist peinlich und schlimm genug, zweiteres wäre politisch verheerend.

Und dann sind da noch die Begleitumstände der Kanzlerwahl, die mit dem zweiten Wahlgang zusammenhängen. Um diesen noch am selben Tag zu ermöglichen, musste von der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages abgewichen werden, um die Ladungsfristen zu verkürzen. Und dafür wurden entweder die Stimmen der Linken oder der AfD benötigt. Die Linken stimmten dem Angebot der Union und der SPD zu und beantragten gemeinsam mit den Koalitionären und den Grünen die Abweichung von der eigentlich vorgesehenen Frist, sodass der zweite Wahlgang am Dienstag möglich wurde. Ein Novum, und für die CDU ein klarer Verstoß gegen einen Parteitagsbeschluss, der eine Zusammenarbeit mit der Linken eigentlich ausschließt. 

Bis Montag war auch nicht abzusehen, dass von diesem Beschluss abgewichen werden soll. Aber auf Montage folgen Dienstage, und das eröffnet in der CDU seit jeher die goldene Möglichkeit, sich im Geiste Adenauers zu behaupten: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“

Sinn und Unsinn solcher Beschlüsse

Nun lässt sich über Sinn und Unsinn solcher Beschlüsse trefflich streiten. Aber dass die Partei Ludwig Erhards just in dem Moment den Unvereinbarkeitsbeschluss mit der gewandelten SED kippt, als diese mit dem Aufruf zum Sturz des Kapitalismus Schlagzeilen macht, mag für den politischen Beobachter amüsant sein. Für den eingefleischten Unionisten ist es eine Zumutung.

Da helfen dann auch keine Adenauer-Zitate mehr. Wie kann auch vermittelt werden, dass nur noch die eine Brandmauer steht, nämlich die nach rechts? Und noch etwas dürfte der konservativen Basis auf den ohnehin schon geschundenen Nerv gehen: Genau einen Tag nach dem gemeinsamen Antrag mit der Linken lässt Kanzleramtsminister Frei verlautbaren, eine Aufhebung des Unvereinbarkeitsbeschlusses sei für ihn denkbar.

Wahrscheinlich zeigt sich hier exemplarisch der Merz'sche Politikstil und alles, was daran problematisch ist: Am Dienstag den Unvereinbarkeitsbeschluss einkassieren, und am Mittwoch verkünden, man sei offen für die Abschaffung. Seine inhaltliche Flexibilität der vergangenen Wochen ist atemberaubend und schafft sicher kein Vertrauen in Beständigkeit. Das ist eine Art der politischen Verrenkung, die an frühere Zeiten erinnert. 

Oder sagen wir es so: Dass sich Friedrich Merz als derart gelehriger Merkelianer erweist, dass die neue Kanzlerschaft unter der Überschrift „Mutti wäre stolz“ stehen könnte, ist doch sehr überraschend. Stellen sich absehbar keine Erfolge ein, könnte Friedrich Merz die Verweildauer von Olaf Scholz im Kanzleramt noch im negativen Sinne toppen. Dann wäre er ganz weit vorne.


 

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Enka Hein | Sa., 10. Mai 2025 - 19:18

.....umgeben von vielen Blindgängern und -gängerinnen.
Da wird uns aber leider noch einiges um die Ohren fliegen. Z.B. unkontrolliertes afghanisches Kulturgut nach Germoney eingeflogen. Von Nänzi ganz zu schweigen.
Aber Merz ist noch mal ne Nummer für sich.
Anfangs dachte ich der könnte wirklich was reißen. Gewält habe und hatte ich ihn trotzdem nicht.
Er bzw. die CDU müssten erstmal in Vorleistung gehen.
Aber es kamen nur Umfaller, Rückzieher und sonstige Nebelkerzen.
Vom Pascha bis Schulden.
Da brauch ich keine 100 Tage zu warten. Da prophezeie ich jetzt schon, das die Nummer nic wird. Insbesondere nicht mit der SPD.
Deutschland kann nur durch eine einzige Partei wieder auf Spur gebracht werden.
Und das die Partei wirkt sieht man. Aber leider wird Merz mit seinem halbherzigen Gehabe nicht einen einzigen AFD Wähler zurück holen.
Leider gibt es immer noch 11% Sektenmitglieder, 16% Scheinarbeiterklasse und zuviele Prozente einer Mauer Mörderpartei.
Alle drei sind demokratiezersetzend.

Sabine Lehmann | Sa., 10. Mai 2025 - 19:25

Sein eigenes dummes Geschwätz von gestern für obsolet zu erklären oder sich angesichts einer geheimnisvollen Demenzerkrankung an absolut Nichts mehr erinnern zu können, ist gepflegter Politstil seit das Ungemach aus der Uckermark das Zepter übernahm, also gefühlt schon ewig!
So opfert auch der flinke Friederich seine Glaubwürdigkeit & Integrität auf dem Altar politischer Eitelkeiten, denn nie war Machtanspruch so dominant vorherrschend wie heute. Das Wohl des Landes und seiner Bewohner tangiert so peripher, dass jeder Mathelehrer Probleme hätte diese Peripherie noch auf ein und derselben Tafel darzustellen.
Und Mutti? Alles tanzt nach ihrer Pfeife, obwohl ihre Pfeife längst aus dem letzten Loch pfeift. Ein historisches sowie physikalisches Wunder, aber sie ist ja Physikerin;-)
In diesem Sinne, bleiben Sie heiter, irgendwie, und bleiben Sie doch bitte ihrer Bundesregierung treu und gewogen. Treu bis in den Tod oder zur nächsten Wahl, denn was anderes bleibt Ihnen eh nicht übrig;-) Oder?

Ernst-Günther Konrad | So., 11. Mai 2025 - 10:16

Ja, man kann einiges über die Wahl und den möglichen Motiven für den ersten fehlgeschlagenen Wahldurchgang spekulieren und sagen. Ja, kein guter Start für Merz und ja, das wird noch ordentlich Strubel geben in der Regierung und auch ich denke, die halten nicht sehr lange gemeinsam aus.
Aber mal was anders. Sie können offenbar auch nicht loslassen. Obwohl kein Amt mehr lese ich, dürfen Sie ihr Bundestagsvizepräsidentenbüro noch zwei Jahre mit Personal behalten. So drei Monate könnte ich ja noch verstehen, aber zwei Jahre? Sie sind doch auch jemand der sich gerne Law and Order Anhänger ausgibt. Halten Sie das für gerecht? Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich mag Sie durchaus, obgleich sie mich öfter enttäuscht haben, gerade wenn sie, wie bei Corona vernünftig kritisieren und dann bei Abstimmungen fehlen. Nur mal ehrlich. Die FDP liegt am Tropf. Sie hat gerade mal 3% Wähler. Wie wollt ihr zurückkommen? Wer soll Euch nach diesem Ampeldesaster noch wählen? Fangt mal bei Euch an aufzuräumen.